Peter Gebhard macht das, was andere sich vielleicht unter einem Abenteuer-Urlaub vorstellen. Er bereist die Welt mit einem alten VW-Bulli. Island mit wilder Natur, Wasserfällen und Gletschern. 15.000 Kilometer von Istanbul bis ans Nordkap. Vorher, in den vergangenen Jahrzehnten ging es zum Beispiel nach Rio und über die Panamericana. Von diesen Reisen wollten auch große Medien Fotos von und Interviews mit Peter Gebhard: Der Stern, der Merian, das ZDF-Mittagsmagazin oder 3sat. Inzwischen verdient der Paderborner sein Geld mit seinen Vorträgen und Büchern über die Reisen, dafür ist er bundesweit unterwegs.
„Ich bin nicht nur Fotograf, ich bin auch ein Geschichtenerzähler“, sagt er. Man kann die Orte nicht miteinander vergleichen, denn alles hat irgendwie seinen Charme. Schönste Plätze gibt es für ihn nicht, denn auch Südtirol ist wunderschön: „Das ist ein Paradies auf Erden, aber darüber würde ich keinen Vortrag halten.“ Einen Dauerbrenner gibt es dann doch. Island: weiße Gletscher, grüne Landschaften. Und dazwischen auf den Fotos immer wieder der kleine, rote VW-Bulli „Erwin“.
„Man will ja wissen: Da muss doch was schief gelaufen sein. Und natürlich ist was schief gelaufen.“
Aber fangen wir weiter vorne an. Bevor es Erwin gab, war Peter Gebhard zum Beispiel in Südamerika unterwegs. Ab Ende der 90er Jahre ging es nach Peru, nach Bolivien und zuletzt vor wenigen Jahren eines seiner größten Projekte in Rio de Janeiro, Brasilien.
Im ersten Moment entstehen bunte Bilder im Kopf: farbenprächtiger, lauter Karneval, köstlicher Caipirinha an der Copacabana der Spitzenklasse. Dann der zweite Gedanke und die andere Seite: bewaffnete Straßengangs, Drogenkriminalität, Favelas und Armut. Vielleicht zu gefährliches Pflaster, entscheiden viele für sich persönlich. Natürlich gibt’s da Vorurteile. Reisewarnungen vom Auswärtigen Amt. Peter Gebhard hat eine andere Sichtweise: „Es gibt keine Garantie, dass das klappt. Aber das ist ja genau der Punkt. Viele wollen Abenteuer, aber es soll sicher sein. Das funktioniert nicht“, sagt der Fotograf. Und wenn, dann passiert es oft dort, wo man es eben nicht erwartet.
Gefährlich wurde es nicht in den Favelas, sondern mit dem Drink in der Hand am Strand.
„Vor Rio hatte ich sehr viel Respekt, weil ich natürlich viel über Überfälle gehört hatte. Als Fotograf hast du zwei Optionen. Und ich wollte ja nicht nur die Copacabana und den Zuckerhut fotografieren. Entweder du hast das Foto, dann bist du potentiell immer gefährdet. Oder du nimmst den Apparat nicht mit, aber dann hast du auch kein Foto.
Da bin ich erstmal drei, vier Tage nur durch Rio gelaufen, hab erstmal versucht zu fühlen: Traue ich mir das überhaupt zu? Ich bin jetzt keine 22 mehr und muss mir nicht mehr beweisen, wie cool ich bin. Ich hab eine Familie, ich muss nicht jeden Irrsinn mitmachen, nur um zu erzählen, dass ich mich in die Favela reingewagt habe. Aber es ist alles gut gegangen: Wir waren mit einer Spezialeinheit zum Beispiel in der Favela, wo die eine Drogenpatrouille gemacht haben. Wir natürlich ohne Sicherheitswesten, die vorne schwer bewaffnet und mit Maschinengewehren ausgestattet.
Das ist schon sehr speziell, aber eigentlich ist das total sicher. Gefährlich wird’s eigentlich da, wo man nicht so damit rechnet. Zum Beispiel nachts an der Copacabana. Da waren wir mit Freunden zusammen nachts um eins. Da sind so Kioske, da kann man sich einen Drink bestellen, wir waren da vielleicht zu elft oder zwölft, auch viele Brasilianer dabei. Und dann haben wir überhaupt nicht gemerkt, dass sich im Laufe von Minuten eine Gang von zehn oder zwölf Jungs, die alle zwischen 14 und 18 Jahren alt waren, so allmählich immer näher kamen. Das wäre keine Minute mehr gewesen, die wären auf uns los und das wäre mit Sicherheit ziemlich abgegangen. Und das, weil wir eben in diesem Moment nicht diesen 360-Grad-Radar-Blick hatten, den wir uns antrainiert hatten. Wenn du permanent beobachtest, da kann dir eigentlich nichts passieren. So eine Situation entsteht nie aus heiterem Himmel.“
Sonntagmittags, mitten in der Stadt – und plötzlich die Machete vorm Gesicht.
„In Panama City wurde ich vor 15 Jahren mal richtig überfallen. Da waren wir zu zweit, mein Assistent und ich, beide 1,90 m groß, Sonntagmittag in der Stadt. Plötzlich rempeln uns drei Jungs von hinten an. Wir dachten nur: Was soll denn der Mist – bis wir dann merkten, wir werden gerade überfallen. Es war nicht nachts, war kein Gedränge, eine ganz normale Situation. Da hatten wir einfach Pech. Sowas eskaliert dann unheimlich schnell. Man soll sich ja nicht wehren – tut es dann aber irgendwie trotzdem.
Zwei versuchten dann, mich umzuschubsen und der Dritte kam mit der Machete von hinten und hat meinem Assistenten das Ding an die Kehle gehalten. Ich lag irgendwann wie ein Käfer auf dem Boden, die haben mir die ganze Hosentasche aufgeschlitzt und mir dann mein Portemonnaie geklaut. Aber zwei, drei Tage später als ich zuhause war, sagt meine Frau zu mir: Was hast du denn da für Striemen auf dem Rücken? Ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass die mit einem Messer versucht hatten, mir den Rucksack abzuschneiden. Und ich weiß von anderen Fällen in Venezuela, wo die, wenn die nicht erfolgreich sind, das Messer in den Oberschenkel hauen und du kannst verbluten.“
„Ich dachte mir: Du bist doch wahnsinnig, du bist doch einfach nur wahnsinnig!“
Die Entscheidung für den Bulli fiel nach der Reise nach Rio, „da fuhren die ganze Zeit so viele alte T1- und T2-Bullis herum und beherrschten auch irgendwie das Straßenbild da“. Und „Erwin“ ist auch ein Brasil-Bus mit einer langen Geschichte. Baujahr 1972, 44 PS. Und bevor er in die Paderborner Südstadt zog, gehörte das Auto einem brasilianischen Bauern. Damals hieß Erwin noch nicht Erwin und statt Kameraequipment transportierte er Obst und Gemüse. „Natürlich ist so ein Auto in vielen Situationen ein Sympathieträger.“ Schlafen kann man in dem Bulli nicht, kochen auch nicht, Toilette und Dusche sind erst recht nicht drin. Stattdessen ist er von oben bis unten vollgepackt mit Kameraequipment, Kleidung und Proviant.
Wohin es geht, entscheidet Peter Gebhard alleine. Warum nicht mal den eigenen Kontinent behandeln? Die bisher größte Reise mit dem Bulli startete in Istanbul und endete am Nordkap. „Als wir auf die Autobahn auffuhren, da dachte ich: Du bist doch wahnsinnig, du bist doch einfach nur wahnsinnig!“, erzählt Gebhard. Allein die Vorstellung eines Unfalls mit einem Auto aus den 1970er Jahren macht keinen Spaß, denn da gibt es kaum Sicherheitsautomatismen. Letztendlich ging über 15.000 Kilometer und etwa sechs Monate alles gut. Keine große Auto-Panne, keine Überfälle in Istanbul, Albanien oder Montenegro. Ganz im Gegenteil: „Es waren einfach sehr emotionale Begegnungen. Das ist überwältigend.“ Zum Beispiel in Albanien, wo Gebhard einfach bei fremden Leuten an die Tür klopfte. Dort lernte der Fotograf dann ein Mädchen kennen, das sich über Jahre hinweg nur mit Fernsehen Deutsch beigebracht hatte und ihn auf Deutsch ansprach. Ein Jahr später reiste er wieder zu der Familie und brachte ihr Fotos vom letzten Aufenthalt.
„Das sind wirklich die Sternstunden des Reisens“, sagt er. Viele Freundschaften sind durch die Reisen entstanden, Gebhards ältester Freund ist fast 95 Jahre alt. Ein Mann, der im Untergrund im zerbombten Berlin unter den Nazis überlebt hat. „Er ist ein meisterhafter Erzähler, völlig ohne Hass. Er versucht heute Schülern und jungen Leuten etwas beizubringen, was heute viel zu kurz kommt: Empathie.“
Diese Menschen durch die Reisen kennengelernt zu haben, sei ein ganz großer Schatz, sagt Gebhard, „das ist mir durchaus bewusst.“
Seine Kinder wissen, dass das kein Urlaub, sondern Arbeit ist.
Die Reisen dauern meistens mehrere Monate: Von Istanbul bis zum Nordkap war Gebhard von März bis Oktober unterwegs. Auf der Strecke gab es aber einen Zwischenstopp zuhause in Paderborn: „Ich will ja nicht, dass meine Kinder hinterher zu meiner Frau sagen: Wer ist denn dieser komische Onkel?“ Dass die Familie nicht mitkommt auf die monatelangen Reisen, das war für Gebhard von Anfang an klar. „Das eine ist Arbeit und damit will ich meine Familie nicht belasten. Es ist nicht immer alles nett und angenehm“, das wissen seine Kinder aber auch. Stattdessen kommt meist ein Assistent mit, der ihn bei der Reise unterstützt.
So schön die Begegnungen und Landschaften auch sind, seine Abenteuer sind auch anstrengend, erzählt Gebhard. Der Job erfordert viel Flexibilität. Ist das Wetter in Ordnung? Können so die Fotos gemacht werden, die man sich über dem Wasserfall im goldenen Licht des Sonnenaufgangs vorgestellt hat? Entwickelt sich eine neue Geschichte vor Ort? Planungen, die man sich vorher zurecht gelegt hatte, funktionieren dann einfach nicht mehr. „Aber wie wir aus der Sache rauskommen, letztendlich ist das doch am Ende immer eine tolle Geschichte. Es ist genau die Geschichte, die die Menschen hören wollen: Wie kommt man aus der Patsche wieder raus?“, sagt Gebhard.
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